Ein Muß für alle, die ein allzu starres Bild vom russischen Kultregisseur haben. Nein – für alle, die noch gar kein Bild von ihm haben. Oder für solche, die nicht glauben, daß man Theater über Kino machen kann. Oder Kino im Theater. Und das so nebenbei etwas sehr seltenes zustande bringt: Es bewegt. (Norddeutscher Rundfunk)

Auch Regisseur Wolfgang A. Piontek und sein Ensemble suchen: Tarkowskij und das Geheimnis seiner Suche. Diese Aufgabe wird weniger mit einem als mit Bildern gelöst. Weshalb auch die Körper der Schauspieler ... wunderbar viel ausdrücken ... Commedia Futura bewies im fünfzehnten Jahre ihres Bestehens einmal mehr, das Bilder aus dem Computer kommen können, und beim Zuschauer wiederum neue sinnliche Bilder auslösen. (Hannoversche Allgemeine Zeitung)

Wie falsch wir doch alle leben … Ich sehe mit immer größerer Klarheit die Notwendigkeit vor mir, mein Leben zu verändern … Vor allem muß ich mich unabhängig fühlen, ich muß glauben, lieben, diese allzu armselige Welt von mir abwerfen und für etwas anderes leben - aber wie, wo?

Dies notiert Andrej Tarkowskij am 23. Juni 1977 in sein Tagebuch. Da hatte er schon so bedeutende Filme wie “Andrej Rubljow“, “Der Spiegel“ und “Solaris“ gedreht und arbeitete an “Stalker“. Sein Leben und seine Filme sind von der leidenschaftlichen Suche nach Wahrheit und dem Sinn des Lebens geprägt. Die “Zone“, in der der Film “Stalker“ spielt, ist ein Sinnbild für die Suche selbst Die Zone, das ist … ein sehr kompliziertes System. Von unsichtbaren Fallen, die allesamt tödlich sind. Keiner weiß, was hier in Abwesenheit von Menschen vor sich geht. Es lohnt sich aber herzukommen für uns Menschen … Mitunter kann sie furchtbar launisch sein, kapriziös sogar, aber in jedem Moment ist sie so, wie wir sie selbst mit unserem inneren Wesen gemacht haben.

COMMEDIA FUTURA holt mit dieser Inszenierung die atmosphärische Dicht und Intensität der Filme Tarkowskijs auf die Bühne. Dabei verschmelzen Filmmotive und Episoden aus Tarkowskijs Leben zu einem ganz eigenen Stück. Unter der Regie von Wolfgang A. Piontek ist ein multimediales Schau- und Bewegungsspiel entstanden, das die Möglichkeit des Theaters durch Zuspielung von Filmsequenzen per Video erweitert – ein Experiment zwischen Schauspiel, Tanz und Film, das nicht nur Tarkowskij-Fans ansprechen soll.

 

Gefördert von dem Land Niedersachsen, dem Fonds Darstellende Künste und der Niedersächsischen Sparkassenstiftung.


Premiere am 31. Dez 1996,
insgesamt 27 Aufführungen zwischen dem 31. Dez 1996 und 26. Sep 1997

COMMEDIA FUTURA OnTour:
25. Sep 1997 Oldenburg
26. Sep 1997 Oldenburg

Ensemble


Konzept: Gruppe
Inszenierung: Wolfgang A. Piontek
Dramaturgie: Peter Piontek
Kostüme: Jana Hanusova
Musik: Gerd Jacob, Malte Preuß
Videos: Ralf Heintz, Gerd Scholze
Lichtdesign: Wolfgang Denker

Kreiszeitung | 01.01.1997
Tanz der Stimmungen
von Jörg Worat

Jubiläum für eine der renommiertesten freien Bühnen Hannovers: Vor 15 Jahren wurde Commedia Futura gegründet, und noch eine runde Zahl: Vor einem Jahrzehnt starb Andrej Tarkowskij. Dem russischen Kultregisseur widmeten die Theatermacher aus der Eisfabrik diesmal ihre traditionelle Silvesterpremiere. Bei „Erkundungen in der Zone Tarkowskij“ verzichtet die Commedia gänzlich auf das Erzählen einer Geschichte, was der Bühne ohnehin nie sonderlich gelegen hat. Nein, bei dieser Kombination aus Schauspiel, Tanz und Film geht es allein um Stimmungen, und Atmosphäre, um Assoziationen. Auch für die nachgestellten Interviews mit einer Journalistin oder dem Schauspieler Erland Josephson, für die verfremdeten Bildsequenzen aus Filmen wie „Stalker“ oder „Der Spiegel" gilt die Aussage von Regisseur Wolfgang A. Piontek: „Man braucht Tarkowskij nicht zu kennen, um die lnszenierung zu verstehen."

Die Premiere stand unter keinem ganz glücklichen Stern, viele extrem ruhige Passagen, die schönen Bewegungsstudien um Themen wie Verlorenheit und Gemeinschaft, Unterdrückung und Aufbegehren, Mystik und Magie verlangen vom Besucher Konzentration - fällt schwer, wenn ein Kleinkind im Zuschauerraum ständig Kommentare wie „Geh`n wir jetzt?" von sich gibt. Zudem hatte die Lichtanlage eine Macke, flackerte störend. An beeindruckenden Szenen des fünfköpfigen Ensembles mangelte es nicht. Da gab es etwa eine gekonnte Stolpersequenz, einen Commedia-typischen Auftritt tumber Bürokraten (mit denen Tarkowskij einst leidvolle Erfahrungen sammelte) einen wunderbaren Schluss inklusive leibhaftigem Regenschauer - ein ganzer Strauß origineller Motive zu dem eigenartigen Phänomen, das wir Leben nennen.

Die Körperbeherrschung des multinternationalem Ensembles war hochklassig, zudem gefiel die Kollektivarbeit von Rosario Avanzato, Marcia Bittencourt, Adriana Kocijan, Helle Pörksen, Gregor Weber. Hier versuchte niemand, sich in den Vordergrund zu spielen. Bei den Proben bildeten diesmal in besonderem Maße Improvisationen die Grundlage der Inszenierung, ein nicht ganz ungefährliches Vorgehen, weil dabei oft die Konturen verwischen. So Streckenweise auch hier, diese „Erkundungen” wirkten nicht sonderlich kompakt waren mit hundert Minuten Spielzeit entschieden zu lang.

Ein Jubiläum mit kleinen Störungen also, aber doch sehr herzlich beklatscht. Durchaus vorstellbar, dass mit ein paar Nachbesserungen aus diesem Tarkowskij-Projekt noch eine runde Sache wird.

 

Hannoversche Allgemeine Zeitung | 02.01.1997
Commedia Futura erkundet die Zone von "Tarkowskij"
von Alexandra Glanz

Er ist kein Mann der Rätsel: Rätsel wollen gelöst sein. „Nostalgia“ Regisseur Andrej Tarkowskij schuf Geheimnisse, und die können nicht gelüftet werden. 

„Tarkowskij“ nennt die hannoversche Commedia Futura ihr theatralisches Projekt, mit dem sie am letzten Abend des alten Jahres ihr neues (Spiel-)Jahr begann. Über dem Namen ist zu lesen: „Erkundungen in der Zone“. Zone bedeutet im ursprünglichen Sinn ein Gürtel, ein Gebietsstreifen rund um die Erde. Andrej Tarkowskijs Erde liegt zwar in Russland, dort ist er 1932 geboren, und dort drehte er auch die meisten seiner Filme. Doch Russland liegt auch in Paris, wo der Filmkünstler die letzten Jahre seines Lebens arbeitete, und wo er 1986 starb: In Tarkowskijs anspruchsvoller Kunstwelt sucht der Mensch sich selbst, ob in seinem Geburtsort Sawraschje bei Moskau oder auf der Ile de France.

Auch Regisseur Wolfgang A. Piontek und sein Ensemble suchen: Tarkowskij und das Geheimnis seiner Suche. Diese Aufgabe wird weniger mit einem Text als mit Bildern gelöst. Weshalb auch die Körper der Schauspieler (Rosario Avanzato, Marcia Bittencourt, Adriana Kocijan, Helle Pörksen und Gregor Weber) wunderbar viel ausdrücken. Sie können das sicher auch, weil der Butoh-Geschulte Gregor Weber für die „Körperarbeit“ der Inszenierung verantwortlich zeichnet. Angst und Unruhe kommen eben mit Bewegung, beziehungsweise mit Starrheit viel besser „zu Wort“, als wenn mittels Worten Angst und Unruhe formuliert werden.

Das Erste der neun szenischen Bilder taucht den Bühnenraum des Schwarzen Saales in der Eisfabrik in dämmriges Licht. Auf dem Boden liegen vier Schlafende, ins weiße Bettlaken wie in einen Kokon gemümmelt. Sie quälen sich aus ihrer vermeintlichen Ruhe in einen überdreht-unruhigen Schlaf. An den Seitenwänden vibrieren die Requisiten, die in den nächsten 100 Spielminuten immer wieder gebraucht werden, in irritierender Schräglage.

Tisch und Stühle kippen nicht, sie würden aber gern. Über dem Schlafsaal hängen fünf Monitore. Auf ihren Bildschirmen laufen während des Abends immer wieder Filmzitate ab, Erinnerungen an „Andrej Rubljow“, „Der Spiegel“, „Solaris“, „Stalker“ oder „Nostalgia“, auch Erinnerungen musikalischer Art füllen den Raum. Dazu kommt die biographische Choreographie: graue Bürokraten in ihrer stereotypen Dumpfheit, die Mutter als eine ewige Herausforderung und Tarkowskij als Schwätzer, der die Frau in seinem Film bevorzugt als Opfer einsetzt, weil Männer sich in dieser Rolle angeblich schwer tun. Die „Journalistin“, die das Interview mit dem Kultregisseur kichernd schildert, war die Störstelle dieser Produktion.

Tarkowskij wollte stören, und auch die „Tarkowskij“-Collage der Commedia Futura stört; sie rührt auf und an, doch diese Szene mit ihrem lächerlichen Impetus blieb einfach nur albern. Pech für die zwei „Übersetzerinnen“, die dem Publikum die journalistische Erzählung in die Taubstummensprache übertrugen: Tarkowskijs Aussagen wird als törichtes Gebrabbel vorgeführt. Und der Regisseur, der seine Kritiker verachtet, bleibt ein fader Allgemeinplatz, der zwar dem Andenken an Tarkowskij nicht schadet, aber der Dramaturgie von „Tarkowskij“. Tarkowskij und Piontek mögen keine Journalisten - wie witzig.

Zu Recht gab es viel Applaus, denn die Commedia Futura bewies im zehnten Jahr ihres Bestehens einmal mehr, dass Bilder aus dem Körper und aus dem Computer kommen können, und beim Zuschauer wiederum neue sinnliche Bilder auslösen.

Neue Presse | 02.01.1997
Tumbe Bürokraten und am Schluss ein schöner Schauer
von Jörg Worat

Runde Zahlen: Vor 15 Jahren wurde Commedia Futura gegründet, vor zehn Jahren starb Andrej Tarkwoskij. Dem russischen Kultregisseur widmeten die Theatermacher aus der Eisfabrik diesmal ihre traditionelle Silvesterpremiere.

Bei „Erkundungen in der Zone Tarkowskij" verzichtet die Commedia auf das Erzählen einer Geschichte, was der Bühne ohnehin nie sonderlich gelegen hat. Nein, bei dieser Kombination aus Schauspiel, Tanz und Film geht es allein um Stimmungen, Atmosphäre, Assoziationen. Auch bei nachgestellten Interviews, den verfremdeten Bildsequenzen aus Filmen wie „Stalker“ oder „Der Spiegel": „Man braucht Tarkowskij nicht zu kennen, um die Inszenierung zu verstehen", meint Regisseur Wolfgang A. Piontek zu Recht.

Die Premiere stand unter keinem ganz glücklichen Stern. Viele extrem ruhige Passagen, die schönen Bewegungsstudien um Themen wie Verlorenheít und Gemeinschaft, Unterdrückung und Aufbegehren, Mystik und Magie verlangen vom Besucher Konzentration - fällt schwer, wenn ein Kind im Zuschauerraum Kommentare wie „Geh'n wir jetzt'?" von sich gibt.

An beeindruckenden Szenen des fünfköpfigen Ensembles mangelte es nicht. Da gab's etwa eine gekonnte Stolpersequenz, einen Commedia typischen Auftritt tumber Bürokraten, einen wunderbaren Schluss inklusive Regenschauer. Statt hundert Minuten Spielzeit hätten es allerdings ohne Substanzverlust auch achtzig getan, ein Jubiläum mit kleinen Störungen also, aber doch sehr herzlich beklatscht. Übrigens: Die Commedia hat schon bewiesen, daß sie zu Nachbesserungen durchaus fähig ist.

 

 

 

 

Plakat:
Tarkowskij – Erkundungen in der Zone
2 Klicks für mehr Datenschutz: Wenn Sie diese Felder durch einen Klick aktivieren, wird der Button des sozialen Netzwerks aktiv und es werden Informationen an Facebook, Twitter oder Google in die USA übertragen und unter Umständen auch dort gespeichert.

Kontakt

COMMEDIA-FUTURA
Seilerstraße 15F
30171 Hannover
T (0511) 81 63 53
theater@commedia-futura.de

Bürozeiten: Mo-Mi 10–16 Uhr

eisfabrikAnreise (Google-Maps)

Mitglied

freies-theater-hannover

laft